Lernen mit Kopf, Herz und Hand – Investition in die Zukunft

Montessoriklasse. Foto: Una Giesecke
Foto: Una Giesecke

Die Stiftung ermöglicht mit Arbeitsmaterialien einen langfristigen reformpädagogischen Zweig an der 15. Grundschule

War er zu bescheiden?, lässt Claudia Hergesell ihre Viertklässler den geforderten Lohn des Schachbretterfinders schätzen. Der hatte ein Reiskorn auf das erste Feld gelegt und für jedes weitere das jeweils Doppelte zum Lohn gewünscht. Seine Geschichte erzählt die Montessori-Lehrerin an der 15. Grundschule, wo der staatliche Lehrplan in Mathematik die Eroberung des Zahlenraums bis zu einer Million vorschreibt. Eifrig beginnen die Schüler, die Produkte für die 64 Felder in eine Tabelle zu schreiben. Wer wird wohl als erster das Ergebnis haben?

Taschenrechner sind tabu. Anfangs geht es noch im Kopf und mit den Fingern, schnell füllen sich die ersten zehn Zeilen. Die nächsten fünf brauchen schon mehr Zeit, doch spätestens als die Zehntausend überschritten wird, muss das Multiplikationsbrett her.

Blaue und gelbe, rosa und grüne, rote und goldene Perlen liegen allein oder bis zu zehnt aufgefädelt bereit. Jasper, Pau und Nanuk haben sich zusammengetan und arbeiten im Hort daran weiter. Wie kleine Zauberer verteilen sie bunte Kügelchen auf den Feldern, die die Stellen vom Zehner bis zur Million darstellen. Es ist schon vier, doch immer noch rechnen sie emsig, schieben hin und her, notieren Zahlen. Der Spätdienst drängelt zum Aufräumen. „Gleich“, bittet Jasper um Aufschub. „Nur noch schnell aufschreiben.“

Dass Kinder auch nachmittags neugierig sind, sich konzentrieren können und Spaß am Lernen haben, weiß Claudia Hergesell schon lange. Von Anfang an, seit 2005 unterrichtet sie im reformpädagogischen Zweig der Grundschule an der Görlitzer Straße. Dort hatte Ingrid Schulze mit Werkstattunterricht und Freiarbeit bereits langjährige Erfahrungen gesammelt, sodass die Elterninitiative bei Direktor Olaf Böttger und im Schulamt auf offene Ohren, aber leere Taschen stieß. Die Eltern wandten sich hilfesuchend an die Stiftung. Mit deren Unterstützung kam die Sache ins Laufen, wurden die teuren, aber langlebigen Arbeitsmaterialien angeschafft. Insgesamt 13.465 Euro flossen von 2005 bis 2007 in Rechenbretter, Wortartensymbole, Geometriekästen, Satzbausterne, Würfel, Türme, Schieber, Aufgabenkarten, Erdteil- und Lesepuzzle, Globus und Bauernhof oder eben das goldene Perlenmaterial. All das steht seither in der Bibliothek auch für künftige Jahrgänge zur Verfügung und ist schon durch unzählige Kinderhände, -köpfe und -herzen gegangen.

Denn dass die Schüler mit dem Herzen dabei sind, fordert auch das Schulkonzept: „Wesentliches Ziel dabei ist, das Lernen zu lernen.“ Im Notendurchschnitt unterscheiden sich die Reformschüler nicht von herkömmlichen, hat Claudia Hergesell festgestellt. „Aber sie sind nach den vier Jahren immer noch hoch motiviert und enorm selbstständig.“ Raphael beispielsweise, der inzwischen ein Gymnasium besucht, wo Aufgabenstellungen und Arbeitsschritte im Frontalunterricht oft vorgefertigt sind, blicke ein wenig wehmütig auf die komplett selbst organisierten Klassenfahrten zurück, erzählt Claudia Hergesell. „Ich gebe im Unterricht nur Eckpunkte, den Roten Faden sowie Pflicht und Kür vor.“  Bei der Zeiteinteilung und Arbeitsgruppenbildung hilft die Pädagogin dann individuell. Da geht es nicht immer nach Freundschaften, hat sie beobachtet, sondern auch um die Zugpferde. „Und die wiederum lernen in der Zusammenarbeit Rücksichtnahme und zu erklären, was sie verstanden haben.“

So wie bei dem Trio am Multiplikationsbrett. „Wir müssen anbauen“, ruft Pau, als er merkt, dass bei der Million noch lange nicht Schluss ist. „Hab ich doch gleich gesagt“, brummt Jasper. Er hat wohl geahnt, dass der Schachbretterfinder ein schlauer Fuchs war. Als sie nach vier Unterrichtsstunden im Trillionenbereich ankommen, wissen es die ersten. Zwei Mädchen haben das Wettrechnen gewonnen und wollen nun herausbekommen, wie groß, wie schwer und wie viel wert der Reishaufen war, der auf kein Schachbrett passt.